Ein Plädoyer für Gelassenheit im Vertrauen auf die Kraft des Geistes Gottes

Synodalität auf allen Ebenen weiterentwickeln

Die Reihe „Synodalität bewegt – weltweit und in der Schweiz“ geht mit einem Beitrag von Stephan Schmid-Keiser weiter. Er stellt sich im Artikel der Frage „Wie kann pastorales Handeln nach innen und aussen durch synodales Zusammenarbeiten wirkungsvoller werden?

Dieser Beitrag ist zuerst im „Anzeiger für die Seelsorge“, Nr. 132 (2023/5) Seiten 36-40, erschienen. Wir bedanken uns bei Stephan Schmid-Keiser für die Erlaubnis zur Publikation.

«Synodalität» ist ein Begriff, der in Kirchen gebraucht wird. Er umschreibt die Art und Weise des Zusammengehens von Menschen in kirchlichen Organisationen. Von der Wortbedeutung des griechischen «synodos» her steht der Weg im Zentrum, auf dem Menschen einander im Kirchenleben begegnen. Um dieses synodale Prinzip wird unter den Rahmenbedingungen der römisch-katholischen Kirche verstärkt gerungen.

Gemäss Leo Karrer (1937-2021) geht es um eine «prinzipiell umfassende Partizipation», die sich als «wechselseitige Bindung der Vielfalt der Charismen des kirchlichen Lebens mit den Ämtern und Diensten an der Einheit im Glauben und Beten» definiert. Dabei seien die unverzichtbaren Dienste des Papstes, der Bischöfe und der Pfarrer «mit der Mitverantwortung des Volkes Gottes verbunden». Bis heute nicht eingelöst sind Karrers Vorschläge, im Falle von mehr Mitspracherechten, Gleichberechtigung und Konfliktregelung die eigene Soziallehre anzuwenden. Man denke hier nur schon an das Prinzip der Subsidiarität, das wesentlich im Personprinzip verankert ist, weshalb jede Tätigkeit in Gesellschaft und Kirche die Entfaltung des Menschen ethisch legitimiert.

Weder Einzelmasken noch Primadonnen gefragt
Was aber ist subsidiär im Kontext der römisch-katholischen Kirche an Partizipation möglich, nachdem das Zusammengehen und Zusammenwirken in dieser Kirche deutlich hierarchisch geleitet und bestimmt wird? Gegenwärtig fällt das Bestreben auf, mittels synodalen Prozessen die Wirkung des pastoralen Handelns zu verstärken. Dabei sind Hürden zwischen den unterschiedlichen Ebenen kirchlicher Organisation zu überwinden. Man wünscht sich mehr gegenseitiges Zuhören und nimmt Abstand davon, unverbindlich und ohne Aussicht auf strukturelle Veränderungen angehört zu werden. Nach wie vor bilden Männer als Bischöfe, Kardinäle oder Päpste die Kirchenleitung und einfache Gläubige in subalterner Rolle, obwohl auch ihnen bei der Taufe zugesagt wird: «Aufgenommen in das Volk Gottes wirst du nun mit dem heiligen Chrisam gesalbt, damit du für immer ein Glied Christi bleibst, der Priester, König und Prophet ist in Ewigkeit.»

Die Zusage wirkt im Schweizer Synodenbericht 2023 wie eine Präambel, unter der alle Ebenen der Kirchenorganisation stehen. Synodal und subsidiär zugleich müssten demnach alle im Volk Gottes der Kirche als Glieder Christi anerkannt sein, ohne dass sich die eine Ebene der anderen gegenüber Vorrechte herausnimmt. Ein derartiges Unterfangen wird unter den Bedingungen einer auf Gleichberechtigung und Mitsprache setzenden Gesellschaft zur grossen Herausforderung. Denn weder Einzelmasken noch Primadonnen sind gefragt, sondern ein Zusammenwirken getragen von der Verbundenheit mit der Kraft aus Gottes Geist, die Christus in seiner göttlichen Weite darstellt.

Zur Zukunft des synodalen Zusammenspiels
Auf diesem Hintergrund stellen sich weitere Fragen, die die Zukunft des synodalen Zusammenspiels in der bisher überstark hierarchisch-strukturierten Institution betreffen. Der Versuch, prospektiv fragend dem Thema auf den Zahn zu fühlen, kann womöglich scheitern, gewagt sein will er dennoch. Er stützt sich auf einen Aufsatz, den ich 2021 Leo Karrer zum Thema Eigenverantwortung christlicher Gemeinden in ihrem Gegenüber zur Kirchenleitung gewidmet habe.

Dem Thema auf den Zahn gefühlt
Wie kann pastorales Handeln nach innen und aussen durch synodales Zusammenarbeiten wirkungsvoller werden? Wieviel Eigenverantwortung in den Gemeinden ist möglich? Ist auf Ebene der Weltkirche ein Konzept ‘geteilter Verantwortung’ anzustreben, durch welches neue Freiräume entstehen wie z. B. die Ermutigung von Ortsbischöfen zur Feier der Krankensalbung durch dazu beauftragte Frauen und Männer? Bereits dadurch würden die durch die Taufe mit dem heiligen Chrisam Gesalbten deutlicher ernst genommen. Schliesslich: Was an Kirchenrechtsnormen ist zu überdenken und in einer zukunftsfähigen Dynamik realisierbar?

Wirkungsvoller werden
Wie kann pastorales Handeln nach innen und aussen durch synodales Zusammenarbeiten wirkungsvoller werden? U. a. dieser Frage hat sich 2017 Thomas Wienhardt mit seiner in Würzburg erschienenen Studie Qualität in Pfarreien. Kriterien für eine wirkungsvolle Pastoral gestellt. Wenige Ergebnisse daraus seien hier summarisch dargestellt und kritisch kommentiert. Kirche muss sich im Lebensraum der Menschen engagieren. Lehramtlich müsse ein Priester so leiten, «dass eine gewisse Einmütigkeit erreicht… und die Eigenverantwortung sowie die Bereitschaft zur Mitarbeit gefördert wird (LG 30, 37).» Dieses Ideal entnimmt der Autor aus Konzilstexten, ausgelegt durch die Kongregation für den Klerus und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Doch liess Wienhardt theologische Spannungen unbeachtet, die den ausgewählten Texten inhärent sind und folgte einer selektiven Lektüre. LG 30 etwa wies ausdrücklich die Vorstellung zurück, «die Hirten seien von Christus eingesetzt worden, um die Sendung der Kirche allein auf sich zu nehmen», wie Peter Hünermann in seinem Kommentar zur dogmatischen Konstitution über die Kirche, Lumen Gentium, festhielt und betonte: «Die Konzilsväter standen vor Neuland».

Bis heute treffe ich auf das dominante Schema vom Gegenüber von ‘Hirt und Schafen’, wodurch die grundlegende Würdigung der Frauen und Männer im Volk Gottes ins Abseits gerät. Diese haben «kraft ihrer Vereinigung mit Christus, dem Haupt» Pflicht und Recht zum Apostolat (Apostolicam actuositatem 3). Diese grundlegende Sichtweise muss sich auf die Synodalität in den einzelnen Ortskirchen auswirken. Problematisch ist es darum, die Vereinigung aller im Volk Gottes mit Christus und seiner Beziehung zu Gott auszublenden und nicht näher darauf einzugehen, wie sich mit der Taufe ein Zusammenwachsen mit dem Haupt der ‘ekklēsía’ (Röm 6,5) ereignet – ein Grundsatz, der den Glaubensweg jeder einzelnen Person ernstnimmt.

Gläubige in die Verantwortung einbinden
So gesehen bringen die Gläubigen als dazu Qualifizierte das Kirchenleben voran, nicht nur ergänzend zum amtlichen Tun derjenigen, die als Beauftragte zu ihren besonderen Diensten berufen bzw. ordiniert sind. Die stärkere Betonung der Eigenverantwortung von Gemeinden müsste sich folgerichtig mit am Status messen lassen, den die Gläubigen als ebenso Berufene im Volk Gottes konkret einnehmen können. Mit Ferdinand Klostermann sieht zwar Thomas Wienhardt, «dass die Gemeinde und ihre Glieder Mitwirkende sind» und es «nur Subjekte» gebe, «die ihren Glauben aktiv leben, keine ‘Objekte’, die nur aufnehmen». Auch weiss er um die Überforderung, individualisierte Menschen dauerhaft an Gemeinden binden zu wollen. Dennoch: Die Einlösung des Konzils in den Pfarreien kam nur halbherzig voran mit dem Ergebnis, dass sich die Betreuten und ihre Betreuer wenig ändern wollen, wie Stefan Gärtner 2013 in einer Polemik notierte. Ausschliessen muss ich als leitend Verantwortlicher trotzdem nicht, dass Menschen neue Freiräume begehen, und selbstorganisiert den Ausdruck ihrer Lebens- und Glaubenserfahrung wagen.

Es geht um nicht weniger als die ekklesiologisch wichtige Ermächtigung von erfahrenen Frauen und Männern und darum, die einseitige Sacerdotalisierung des Presbyterats zu verlassen zugunsten der «Einbindung des kirchlichen Leitungsamtes in die Kirche als Volk Gottes», dies ein altes Postulat des kaum beachteten Theologen Aleksander Raisp. Ebenfalls nicht realisierbar ist eine ekklesiologische Grundformel, die das Feiern des Glaubens abgesondert in Sakralräumen von wenigen zelebriert und von den Lebensumständen abgekoppelt bleiben lässt. Denn an allen Orten der Kirche und des Lebens seien heilige Räume der Sammlung und Sendung zu pflegen, schlug 2013 Leo Karrer vor, als «sakramentale ‘Orte’ dafür, dass Gott und Mensch zusammengehören». Kirche könne nicht genug «realitätsmutig sein, ohne sich an den festen Orten der Vergangenheit und eines zentralistischen und patriarchalen Systems einzuigeln und in Deckung zu gehen». Dies setzt ein Selbstbewusstsein unter Getauften voraus, die in ihrem «Innersten den Ruf nach schöpferischer Freiheit … und in diesem Ruf eine rufende Gottheit erfahren» (Alois Odermatt). Diese Ermächtigung sei «uns eingeboren», weil wir ein ‘Stück Schöpfung’ sind. Wir brauchen keine Priester als Vermittler». In dieser Deutlichkeit wandelt sich dann das Postulat der Eigenverantwortung in und von Gemeinden zu einer umstürzenden Herausforderung. Davon wirklich berühren lassen muss sich jedes Dienstamt in der Kirche, das sich entschieden auf Augenhöhe mit den Menschen im Volk Gottes begibt. Dazu bedarf es nicht weniger als grundlegender Veränderungen kirchlicher Kommunikation.

Vermehrt wird sich das Gemeindeleben «diakonisch-demokratisch» (Rudolf Pesch) entwickeln müssen, wodurch weniger die tendenziell abstrakte Identifikation mit der Institution Kirche als jene mit Christus in den Vordergrund tritt. Biblisch begründet wird dies durch die Formel von Kol 3,11 – Christus ist alles und in allen. Diese Ausrichtung auf Christus und seine Kraft aus Gottes Geist, die sich im Leben von Christi*innen, gestaltend entfaltet, muss zusätzlich juristisch gewürdigt sein, da hier der Hase im Pfeffer liegt.

Kirchenrechtsnormen überdenken
Schaue ich auf die Kanonistik, wird das angestrebte Ziel, bei Entscheidungen in der Kirche synodal vorzugehen, vom Kontrast von Demokratie und Wahrheit stark überlagert (Thomas Schüller / Thomas Neumann). Im Gefolge von Max Weber müsse «die ‘Temperierung’ einer monokratischen Herrschaft durch kollegiale Organe… nicht zwingend im Interesse des Volkes sein, sondern (könne) auch Vorteile für die Interessen einer Aristokratie» haben. So Stimmen aus der Kanonistik. Folge man aber Jürgen Habermas und dessen «Theorie der deliberativen Demokratie», hat dies Konsequenzen für ein entsprechend gestaltetes Kirchenrecht. Dieses habe «die Aufgabe, eine geordnete Mitwirkung zu ermöglichen, die substanziell den ‘sensus fidei’ der Gläubigen auch wirklich rechtzeitig in die kirchlichen Beratungs- und Entscheidungsprozesse einbindet». Dann aber müsste gesagt sein, wie dies angesichts von ungeklärten Machtverhältnissen geschehen kann. So wird zwar sozialethisch der Subsidiarität besondere Bedeutung zugemessen. Ihr «entspricht ein Handeln, das die eigenen Gestaltungsräume ausnutzt – und im Wissen um die eigene Mit-Verantwortung ohne falsche Scheu für mehr Mitspracherecht eintritt» (Daniel Kosch). Umso dringender ist das Überdenken von Kirchenrechtsnormen.

Ein Blick über den Tellerrand hilft, die Sache mit der Leitungsgewalt vertiefter zu reflektieren. Im Anschluss an Jan Philipp Reemtsma plädiere ich für ein Konzept der «Partizipationsmacht», welchem rechtliche Ausgestaltungen inhärent sind. Es genügt darauf zu schauen, wie durch gestaltende Einflussnahme aller Beteiligten Handlungsziele in gegenseitigem Einvernehmen rechtlich ausgestaltet und vereinbart werden können. So gesehen ist Teilhabe die Lösung, die selbstredend zu geteilter Verantwortung führt – sei dies auf bereits erprobten Wegen in kleinen Gruppen des Bibel-Teilens oder auf diözesaner Ebene in den dafür vorgesehenen Räten. Eine einseitig auf Eigenverantwortung getrimmte Gruppe wird sich dennoch periodisch selbstkritisch fragen müssen, ob sie es sich in ihrer Kuschelecke nicht zu sehr gemütlich macht – oder gar der Tendenz zum Auszug oder der Abspaltung Raum gibt. Es ist darum mehr als wünschenswert, für synodale Prozesse neue Rechtsverbindlichkeiten bei der Mitbestimmung in allen kirchlichen Angelegenheiten anzustreben (Adrian Loretan)

Machtausübung als Lackmus-Test
Wird es unmöglich bleiben, in unserer Kirche den Umgang miteinander kooperativer zu gestalten? Leo Karrer verwies auf das eigentliche Ziel: «Es geht um die Nähe zu den Menschen und um eine kritisch-prophetische Präsenz in der Gesellschaft. So ist alles zu begrüssen, was Dialog, Solidarität und fairen Streit ermöglicht. Dabei muss man für die nächsten Schritte nicht warten, bis Rom bereit ist und grünes Licht signalisiert. Auch Reformanliegen müssen zuerst vom eigenen Innen her reifen. Auch in einem reformbedürftigen System ist eine richtige Praxis möglich. Das ist unsere persönliche Verantwortung.» Es bleibt zu hoffen, dass sich im Einsatz für die Sache Jesu heute eine grössere Gelassenheit im Vertrauen auf die Kraft des Geistes Gottes einstellt, die allem kirchenorganisatorischen Perfektionismus die Spitze bricht.

Stephan Schmid-Keiser


Literatur

Baumgartner, A (2006) Art. Subsidiarität, in: LThK IX, Sonderausgabe 2006, Sp. 1076f

Gärtner, S. (2013): Die Betreuten wollen nicht mehr. Eine Polemik zur halbherzigen Einlösung des Konzils in den Pfarreien. In: SKZ 181 (2013) 551-554

Hünermann, P. (2004): Theologischer Kommentar zur dogmatischen Konstitution über die Kirche, Lumen Gentium. In: Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg i. Br., 263-582

Kosch, D. (2013): Solidarität und Subsidiarität – ein unverzichtbares Tandem: I/II. In: Belok, M./Kohler-Spiegel, H. (Hrsg.) Kirche heute leben. Eine Ermutigung. Zürich 92-102.

Karrer, L. (2006) Art. Synodales Prinzip, in: LThK IX, Sonderausgabe 2006, Sp. 1184

Karrer, L. (2013): Orte der Menschen – Orte der Kirche. In: Belok, M./Kohler-Spiegel, H. (Hrsg.) Kirche heute leben. Eine Ermutigung. Zürich, 113-116

Loretan, A. (2020): Synodalität gegen Machtmissbrauch https://www.zhkath.ch/kirche-aktuell/gesellschaft-politik/synodalitaet-gegen-machtmissbrauch. (19. August. 2020)

Odermatt, A. (2013): Ich bin berufen. In: Belok, M./Kohler-Spiegel, H. (Hrsg.) Kirche heute leben. Eine Ermutigung. Zürich, 33-36

Oehmen-Vieregge, R. (2017): Sacra potestas – ein Schlüsselbegriff des Zweiten Vatikanischen Konzils? In: ThQ 197 (2017) 337-358

Reemtsma, J. Ph. (2013): Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Neuausgabe. Hamburg

Schmid-Keiser, St. (2021) Eigenverantwortung christlicher Gemeinden in ihrem Gegenüber zur Kirchenleitung in: ET-Studies 12/1, 131-148

Schüller, Th./Neumann, Th. (2015): Demokratie und Wahrheit. Entscheidungsprozesse in der Kirche aus kanonistischer Perspektive. In: SKZ 183 (2015) 119-122

Wienhardt, Th. (2017): Qualität in Pfarreien. Kriterien für eine wirkungsvolle Pastoral. Sellmann, M./ Pott, M. (Hrsg.) Angewandte Pastoralforschung Bd. 3, Würzburg


Stephan Schmid-Keiser, geb. 1949, ist nachberuflich publizistisch tätig. Er bearbeitet Schwerpunkte aus langjähriger Erfahrung in Seelsorge und Leitung von verschiedenen Pfarreien des Bistums Basels. Als Liturgiewissenschaftler und ehem. Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung liegt ihm an der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit Kirchen und Religionsgemeinschaften unserer Zeit.

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